Wir Hebammen scheinen mit unseren Empfehlungen zum Wochenbett vielleicht etwas antiquiert zu sein, aber die Zeit nach der Geburt, die weltweit auf 42 Tage definiert ist, ist eine enorm wichtige Zeit. Schade, dass wir Frauen uns häufig die Zeit nicht gönnen, um in dieser neuen Phase des Lebens anzukommen und den Körper in Ruhe heilen zu lassen. Stattdessen empfangen wir Besucherberge, rennen zu IKEA und versuchen das Leben so weiterlaufen zu lassen, so als wenn nichts passiert wäre.
In diesem Artikel möchte ich dir die Bedeutung des Wochenbetts näherbringen und zeigen, warum die Betreuung durch eine Hebamme in dieser Phase so wertvoll ist – nicht nur für die frischgebackene Mama, sondern auch für das Neugeborene.
Es heißt WochenBETT
In der deutschen Sprache haben wir für die ersten Wochen nach der Geburt ein schönes Wort: Wochenbett. Dieses Wort macht deutlich, dass es in dieser Zeit vor allem um Ruhe geht. Das Wochenbett ist eine Phase des Ankommens, der Heilung und des Kennenlernens, die oft unterschätzt wird. Es ist die Zeit, in der sich alles neu ordnet und Mutter und Kind eine enge Bindung aufbauen. Außerdem sind alle Heilungs- und Rückbildungsprozesse in vollem Gang.
Es wird zwischen dem Frühwochenbett und dem Spätwochenbett unterschieden. Für das Frühwochenbett, die ersten 10 Tage nach der Geburt, haben wir eine alte Hebammenregel: Sie besagt: “Sieben Tage im Bett, sieben Tage auf dem Bett, sieben Tage ums Bett herum.”
Ganz so ernst muss man es nicht nehmen, aber diese “Regel” macht klar, dass es gerade in der frühen Phase des Wochenbetts darum geht, möglichst viel zu liegen. Denn der Beckenboden, Geburtsverletzungen und auch eine Kaiserschnittwunde der Wöchnerin können am besten im Liegen heilen.
Im Spätwochenbett kann man behutsam wieder aktiver werden und die körperliche Belastung langsam steigern. Aber auch in dieser Phase sollte die Erholung noch weit oben auf der Prioritätenliste stehen.
Viele körperliche Prozesse auf einmal
Die sechs Wochen Wochenbett sind eine Zeit in der mental, aber auch körperlich sehr viel auf einmal passiert.
Wundheilung
Viele Frauen haben nach der Geburt Dammverletzungen oder andere Geburtsverletzungen. Bei einer Dammverletzung ist fast immer auch der Beckenboden betroffen. Diese Verletzungen heilen meist innerhalb von zwei Wochen gut ab. Wenn man bereits früh läuft, kann sich die Wundheilung verzögern. Häufig höre ich von den Frauen, dass sich morgens die Dammnaht gut anfühlt, und am Ende des Tages geschwollen ist. Bettruhe gibt den Dammverletzungen die Möglichkeit abzuschwellen und abzuheilen.
Im Frühwochenbett empfehle ich dir, während des Toilettengangs lauwarmes Wasser über die Vulva laufen zu lassen, damit es nicht brennt. Nach ein paar Tagen kannst du warme Sitzbäder mit Calendula-Essenz oder Kamillentinktur machen, um die Wundheilung zu unterstützen.
Die Plazenta hinterlässt eine große Wunde in der Gebärmutter. Aus dieser Wunde blutet es, bis sie komplett verschlossen ist. Diese Wochenbettblutung (Wochenfluss) ist ein natürlicher Teil des Wochenbetts und dauert ca. 4-6 Wochen an. Anfangs ist sie meist sehr stark und verändert ihre Farbe von rot zu hellrot, bräunlich, gelb und schließlich weiß. Gerade für die ersten Tage empfehle ich dir spezielle Wochenbett-Einlagen, die besonders saugfähig sind. Nach einem Kaiserschnitt ist der Wochenfluss meist kürzer und nicht ganz so stark.
Rückbildung der Gebärmutter
Die Gebärmutter, die die Größe eines Medizinballs hatte, zieht sich innerhalb von zwei Wochen in ihre Ursprungsgröße wieder zurück. Dabei helfen die Nachwehen, die du vor allem beim Stillen wahrnimmst. Nach einem Kaiserschnitt dauert die Rückbildung der Gebärmutter durch die zusätzliche Verletzung meist länger. Du kannst Dich hin und wieder auch mal auf den Bauch legen, das unterstützt die Rückbildung der Gebärmutter.
Nach der Geburt findet im Bauch eine wahre Völkerwanderung der Organe statt. Alles rutscht wieder an seinen vorgesehenen Platz zurück. Der Darm, der vorher eingeengt war, hat wieder sehr viel Platz. Das kann dir Darmperistaltik träge machen und zu Verstopfungen führen. Eine Wochenbettbauchmassage ist meist sehr wohltuend und regt die Verdauung an. Aber auch Hausmittel wie Sauerkrautsaft, Pflaumentrunk, oder Milchzucker können Abhilfe schaffen.
Bauch nach der Geburt
Die Bauchmuskulatur wurde in der Schwangerschaft durch den wachsenden Babybauch stark überdehnt. Nach der Geburt ist der Bauch sehr weich, runzelig und kraftlos. Der Bauch nach der Geburt braucht Monate, bis er sich wieder zurückgebildet hat. Auch eine Rektusdiastase (Spalt zwischen den geraden Bauchmuskeln) ist in dieser Zeit ganz normal und bildet sich im Laufe der ersten Wochen bis Monate bei den meisten Frauen von selbst wieder zurück.
Im Wochenbett kannst du bereits mit leichter Wochenbettgymnastik beginnen, die dir deine Nachsorge Hebamme zeigen kann. Frühestens 6-8 Wochen nach einer vaginalen Geburt und 8-10 Wochen nach einem Kaiserschnitt solltest du dann mit gezielter Rückbildungsgymnastik beginnen, um die Bauchmuskulatur und den Beckenboden zu kräftigen. Ich empfehle dir einen Rückbildungskurs zu besuchen, der von einer Hebamme oder Physiotherapeutin angeleitet wird, in dem du neben den Rückbildungsübungen auch etwas über den Beckenboden allgemein und über beckenbodenschonendes Verhalten in deinem “Mama-Alltag” lernst.
Der Stillbeginn
Ein paar Tage nach der Geburt beginnt die Brust statt der Vormilch (Kolostrum) mehr Muttermilch zu produzieren. Um den dritten, vierten Tag des Wochenbetts, nach einem Kaiserschnitt evtl. etwas später, beginnt der sogenannte Milcheinschuss. Die Brust wird stärker durchblutet und dadurch angeregt, mehr Milch zu produzieren. Sie ist warm bis heiß, druckempfindlich und sehr prall. In dieser Zeit haben sich zum Kühlen der BrustQuark-, oder Retterspitz Wickel bewährt, aber auch Weißkohlblätter sind angenehm, oder ein ganz normales Coolpack.
Das Stillen will gelernt sein. Auch wenn Mutter und Kind grundsätzlich wissen, was zu tun ist, müssen sie erst das Stillen üben. Auch wenn du bereits ein Kind gestillt hast, wirst du feststellen, dass jedes Kind anders ist. Das Üben braucht Geduld und vor allem ungestörte Zeit. Zu viel Besuch ist da oft eher störend.
Auch wunde Brustwarzen machen vielen Frauen in den ersten Wochen zu schaffen. Das Gewebe der Brustwarze hat viele Nerven und muss sich an die dauerhafte Belastung gewöhnen. Wenn notwendig, können Brustwarzensalben, meist auf Wollfettbasis, Kompressen, Brustwarzenschoner, Stillhütchen und Silberhütchen, Linderung bringen. Das Wichtigste ist jedoch eine gute Stilltechnik, so dass dein Baby deine Brustwarze korrekt im Mund hat. Deine Hebamme kann mit dir beim Wochenbettbesuch das Stillen gemeinsam üben und dir ein paar Tricks zeigen.
Gegenseitiges Kennenlernen
Das Baby ist ein neuer Mensch in Deinem Leben. Auch wenn Du es neun Monate unter Deinem Herzen getragen hast, braucht es Zeit, um sich gegenseitig kennenzulernen. Ich vergleiche das gerne mit dem eigenen Partner. Die Eigenarten, Vorlieben und Macken hat man auch erst mit der Zeit kennengelernt. Genauso ist es auch mit dem Baby. In welcher Position mag das Baby am liebsten gestillt werden, welches sind die Zeichen, dass es satt ist, wann hat es Hunger, weint es, wenn die Windel voll ist, wie beruhigt es sich am besten? Das alles und noch viel mehr gilt es herauszufinden.
Die Mutterliebe kann, muss aber nicht von einem auf den anderen Tag entfachen. Diese Erwartungshaltung an sich selbst kann sehr enttäuschend sein. Gebt euch beiden einfach Zeit. Meist kommt das Gefühl, dass wir als Mutterliebe bezeichnen, mit der Zeit von ganz alleine.
Genauso kann es auch dem frischgebackenen Vater gehen. Im Gegensatz zur Frau, hat dieser die Schwangerschaft nur von außen erlebt und braucht auch seine Zeit, um Bindung zu seinem Baby aufzubauen.
Familienbildung
Aus einem Paar werden Eltern, das ist in einer Paarbeziehung wohl die bisher größte Umstellung. Man hat einen kompletten, hilflosen kleinen Menschen in seiner Mitte. Und das nicht nur zu Besuch, sondern für 24 Stunden, die nächsten zwei Jahrzehnte. Das wirbelt das gesamte Leben durcheinander und die Rollen werden neu verteilt. So schön die Geburt eines Babys auch ist, die Umstellung vom Paar zur Familie ist eine Herausforderung.
Wenn Du bereits ein Kind hast, ist Dein Erstgeborenes nun ein großer Bruder, oder eine große Schwester. Man kann vorher schwer sagen, wie die Kinder die Umstellung meistern werden. Häufig wollen ältere Kinder wieder im Elternbett schlafen, Windeln tragen, einen Schnuller, oder eine Flasche haben, oder auch mal aus der Brust trinken. Das ist meist nur vorübergehend. Auch die Geschwisterkinder brauchen eine Weile um sich an die neue Situation zu gewöhnen.
Hormonelle Umstellung
Nach dem hormonellen Höhenflug in der Schwangerschaft stürzen die Hormone nach der Geburt in den Keller und verursachen ein hormonelles Chaos. Nach drei, vier Tagen, einhergehend mit dem Milcheinschuss, beginnt bei einem Großteil der Frauen der sogenannte Babyblues. Dieser geht mit Stimmungsschwankungen einher und kann bis zu zwei Wochen dauern. Ein falsches Wort und die Tränen fließen, das ist nicht untypisch für die Zeit und auch eine Herausforderung für den Partner. Der Babyblues vergeht von alleine und hat nichts mit einer Wochenbett-Depression zu tun. Dauert er allerdings länger an, sollte man mit seiner Hebamme oder dem Gynäkologen darüber sprechen.
Wie lange liegen im Wochenbett?
Gerade im Frühwochenbett empfehle ich Dir, so viel wie möglich zu liegen.
Der Beckenboden wurde durch Schwangerschaft und Geburt stark belastet und ist nach der Geburt geschwächt. Frauen berichten oft über ein Druckgefühl, von dem Gefühl, dass sie sich offen fühlen würden, so als ob die Organe herausfallen würden. Wird der Beckenboden zu früh belastet, erhöht sich das Risiko für eine Beckenbodenschwäche, die sich mit Druckgefühl im Beckenboden, Inkontinenz, oder Organsenkung bemerkbar machen kann. Deshalb solltest du dir vor allem in den ersten zwei Wochen viel Zeit im Liegen oder Sitzen gönnen und schwere Aktivitäten vermeiden.
Geburtsverletzungen, wie ein Dammriss oder -schnitt heilen auch am besten im Liegen. Durch übermäßige Bewegung oder körperliche Anstrengung kann es zu einer verzögerten Wundheilung kommen oder Nähte sogar erneut aufreißen.
Besonders nach einem Kaiserschnitt ist die Schonung in den ersten Wochen entscheidend. Die Kaiserschnittnarbe ist eine große Wunde, die durch sieben Gewebeschichten reicht. Zu frühes Aufstehen kann die Narbe belasten, was Schmerzen oder eine Verschlechterung der Narbenbildung verursachen kann.
Tipps für eine entspannte Wochenbettzeit
In einem guten Geburtsvorbereitungskurs sollte meiner Meinung nach das Wochenbett unbedingt thematisiert werden, damit werdende Eltern sich schon frühzeitig überlegen, wie sie die ersten Wochen mit ihrem Neugeborenen gestalten möchten, um diese Zeit entspannt genießen zu können.
Hier sind einige Wochenbett-Verhaltensregeln und Tipps, die ich euch aus meiner Hebammenerfahrung ans Herz legen möchte:
- Schlafe wenn dein Baby schläft
Die ersten Wochen nach der Geburt sind eine intensive Phase. Ruh dich aus, wenn dein Baby schläft – auch kurze Nickerchen können Wunder wirken. - Hilfe organisieren
Damit du dich ganz auf dich und dein Baby konzentrieren kannst, organisiere bereits in der Schwangerschaft Hilfe durch Familie, Freunde oder eine Haushaltshilfe, die das Einkaufen oder Kochen übernehmen. - Besuchsregeln
Besuch im Wochenbett ist schön, kann aber auch anstrengend sein. Lege daher feste Zeiten und eine begrenzte Anzahl von Besuchern fest, damit du und dein Baby genug Ruhe haben und nicht überfordert werdet. - Kümmere dich frühzeitig um eine Hebamme
Deine Hebamme ist eine wertvolle Begleiterin in dieser besonderen Zeit. Da es manchmal schwierig sein kann, eine Nachsorge-Hebamme zu finden, kümmere dich schon möglichst früh in der Schwangerschaft darum. - Vorkochen und Vorräte einkaufen
In den ersten Wochen bleibt oft wenig Zeit zum Kochen. Koche daher in der Schwangerschaft vor und lege Dir Vorräte mit gesunden Snacks wie Nüsse, Obst, Smoothies oder Energiekugeln an, die Dir Energie geben. - Warte mit Aufgaben, die nicht dringend sind
Lass den Haushalt ruhig einmal liegen und mach dir keinen Druck, dass alles perfekt laufen muss. Nutze die Zeit stattdessen für dich und dein Baby. Der Haushalt kann warten – dein Wohlbefinden hat jetzt Vorrang. - Keine großen Erwartungen
Die ersten Wochen sind eine Zeit des Ankommens und Kennenlernens. Lass Perfektionismus beiseite und gib dir die Erlaubnis, auch mal unsicher zu sein. Es ist ganz normal, wenn nicht alles sofort reibungslos läuft. - Bleib offen und flexibel
Jedes Baby hat seinen eigenen Rhythmus, und es ist in Ordnung, wenn nicht alles nach Plan läuft. Hör auf die Bedürfnisse deines Babys und finde gemeinsam mit deiner Hebamme heraus, was für euch beide am besten funktioniert. - Sorge für Dich
Sanfte Wochenbettgymnastik, ein Sitzbad oder eine Tasse Kräutertee, können dir helfen zu entspannen und deinen Körper zu stärken. Verliere dein Wohlbefinden trotz Baby nicht vollkommen aus dem Blick.
Das Wochenbett bewahren
Ich hoffe, ich konnte dir einen Einblick in die Bedeutung des Wochenbetts geben. Diese ersten Wochen nach der Geburt sind eine wertvolle Zeit, in der neuen Rolle als Mutter anzukommen und sich körperlich zu regenerieren. Lasst uns daher das Wochenbett bewahren – nicht nur für uns selbst, sondern auch für zukünftige Generationen. Wenn wir Frauen diese Zeit selbst nicht als wertvoll betrachten und aktiv für uns einfordern, wird irgendwann vom Wochenbett nichts mehr übrig sein. Es wird normal werden, dass wir kurz nach der Geburt wieder im Alltag stehen, die Kinder in die Kita bringen, Wocheneinkäufe erledigen oder andere Verpflichtungen übernehmen.
Deshalb: Gönn dir diese besondere Zeit, nimm Hilfe an und gib deinem Körper und deinem Herzen den Raum, den sie jetzt brauchen. Das Wochenbett ist keine Nebensache – es ist der Start in eine neue Lebensphase.